Ein Besuch in Nir Oz

Von Oliver Vrankovic

Wer Nir Oz in Begleitung von Überlebenden aus dem Kibbutz besucht, kommt dem unverdaulichen Horror  des 7.10. zumindest so nahe, dass er ihn nicht wieder abschütteln kann. Ein Besuch in Nir Oz, wo am 7.10. jede*r Vierte Bewohner*in ermordet oder entführt wurde, verändert. Die abstrakte Vorstellung des Massakers wird bei einem Rundgang vor Ort zu einer Aneinanderreihung von Geschichten von Menschen, die in ihren kleinen Häuschen einen kollektiven Traum in einer fast schon paradiesischen Gegend gelebt haben über die am 7.10 die Hölle hereingebrochen ist. Ein Holocaust. Zur gleichen Zeit bekommt wer in Nir Oz Menschen aus dem Kibbutz trifft einen Eindruck von den emotionalen Diskussionen der Kibbutz Gemeinschaft über die Zukunft im Spannungsfeld zwischen  Neubeginn und Erinnerung, die im Besonderen den Umgang mit den Häusern betrifft, die zerstört sind. 

In Nir Oz wird das Versagen der Armee und der Politik, die „Nie Wieder“ versprochen und nicht gehalten haben, auf schmerzhafteste deutlich und ebenso wird deutlich, dass auch die Zukunft für die zur Rückkehr bereiten Kibbutzniks nur dann wirklich sicher sein kann, wenn die zwei Millionen Palästinenser, die sich noch unweit von Nir Oz im Gazastreifen befinden, eine neue Bleibe finden. Wer den 7.10 in Nir Oz erzählt bekommt, hat keine Argumente mehr gegen die Umsiedlungspläne. Und gleichzeitig keine Achtung mehr vor der Regierung, die nicht nur versagt hat, sondern deren Vertreter den Kibbutz bis heute nicht besucht haben.

Wie ich es aus der Erinnerungspädagogik mit dem Holocaust kenne, sind Überlebendentreffen und persönliche Geschichten auch für die Weitergabe der Geschehnisse am 7.10. zentral. Am 25.3. haben ein paar gute Leute dank der Vermittlung des Nir Oz Solidaritätsvereins https://www.bgl-niroz.de  solche persönlichen Geschichten vor Ort gehört.

Or und Yagil Yaakov waren zum Zeitpunkt, als Palästinenser in ihr Haus eingedrungen sind, in dem sie sich alleine aufhielten, 12 und 16. Ihre Mutter Renana zeichnete vom Versuch, sich zu verbarrikadieren bis zum Inferno, dass sie erleben mussten, als sie auf Motorrädern durch den Kibbutz gefahren wurden auf dem Weg heraus und nach Khan Yunis, den Alptraum ihrer Söhne nach. Sie war mit ihnen am Telefon und hörte noch, wie ihr Jüngster versuchte zu erklären dass er zu jung sei, um entführt zu werden. Yagil, der von Zivilisten (!!!) entführt wurde und im Gazastreifen an den Jihad verkauft, erschien irgendwann in einem Propagandavideo. Im November 2023 kamen die Jungen im Rahmen eines Abkommens frei. Der Ex Mann von Renana wurde am 7.10. ermordet und nach Gaza entführt, wo sich seine Leiche noch befindet.

Die Geschichte von den Yaakobi Brüder auf Youtube: 

Renana ist eine faszinierende Frau, die einen unverstellbaren Alptraum erleben musste und sich mit voller Kraft der Mission widmet, die Geschichte des Massakers in Nir Oz als Zeugin sichtbar zu machen und internationale Unterstützung für den Wiederaufbau zu gewinnen. Im Rahmen des Rundgangs haben Renana und Efrat, die Nichte von Margalit und Gadi Mozes die Geschichten weiterer Ermordeter und Überlebender erzählt. Darunter die besonders brutale Ermordung der Familie Siman Tov. Die Eltern wurden erschossen und die Kleinkinder sind neben ihren toten Eltern erstickt, als das Haus abgebrannt ist. Die Häuser der Familie Bibas, der Familie Munder, der Lifshitz, von Itzig Elgarat und vieler Anderer, deren Namen sich für immer ins kollektive Gedächtnis der Israelis gebrannt haben. Manche Opfer konnten erst nach Monaten anhand der wenigen nicht verbrannten Überreste identifiziert werden.

Palästinensische Terroristen und Zivilisten drangen in 97% der Häuser ein. Vor dem Hintergrund des unbeschreiblichen Horrors erfuhr die Gruppe von den Diskussionen über die Gestaltung der Erinnerung. Während v. a. junge Familien sich eine Rückkehr nur vorstellen können, wenn alle Spuren des Holocaust beseitigt sind, sind viele andere Mitglieder des Kibbutz der Meinung, dass verbrannte Häuser zum Gedenken erhalten werden müssen.

Der Held Gadi Mozes schilderte Ilana Dayan vor einigen Tagen seine Gefangenschaft und ein längerer Abschnitt zu seiner Freilassung inmitten eines palästinensischen Mob ist Englisch untertitelt:

Gadi, dessen Partnerin Efrat Katz am 7.10. ermordet wurde, schilderte in seinem Haus seine Entführung. Sinnbildlich mündete auch ein Gespräch mit Gadi Mozes in die Frage nach dem Wiederaufbau des Kibbutz und der Erinnerung. Gadi Mozes ein zutiefst faszinierender Mensch und Zionist.

Er und die anderen Mitglieder von Nir Oz, die entschlossen zum Wiederaufbau sind, zeigen sich beeindruckt vom Engagement des Nir Oz Vereins aus Bergisch Gladbach. Deren Vorsitzende Petra Hemming rekrutiert regelmäßig Trupps von Volontären und betreibt eine Spendenkampagne und zu Spenden und auch Freiwilligenarbeit sei auch hier aufgerufen.

Ich hatte zum Abschluss des Treffens noch eine wichtige Frage. Dank der Vermittlung von Petra war der Schwager von Gadi Mozes, Chanan Cohen, bei einer der Reihen „Stimmen aus Israel” der DIG Stuttgart und hat erzählt, dass er eine Flasche Whisky für die Freilassung von Gadi zurückhält. Es war zu dem Zeitpunkt (6.10.24)  nicht klar, ob Gadi überhaupt noch am Leben ist. Gestern konnte Gadi die Frage beantworten, ob Chanan und er Whisky aus seine Freilassung getrunken haben.

Nicht nur einen, so Gadi.

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